Sehr geehrter Herr Papandreou

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Werner01

59, Männlich

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Sehr geehrter Herr Papandreou

von Werner01 am 04.11.2011 21:54

Ihr Name geht, ging in letzter Zeit sehr oft durch die Presse. Kaum ein Tag in letzter Zeit, an dem ihr Name und auch das Land und das Volk dem sie dienen, nicht irgendwie in der tagesaktuellen Presse erwähnt wurde. Soweit sicher nicht verwunderlich. Wenn wir hier in Griechenland wären. Wir sind jedoch hier in Deutschland. Und ich persönlich habe den Eindruck, dass Sie hier öfter erwähnt werden, wurden, als unsere Kanzlerin. Oder vielleicht liegt es doch daran, dass mich persönlich die Nachrichtenlage in ihrem Land etwas mehr interressiert, als die hiesige. Wie auch immer. Was ich ihnen eigentlich sagen wollte ist folgendes. Ich habe in letzter Zeit auch oft geflucht über Sie, obwohl ich gar nicht in ihrem Land lebe. Auch machte ich Witze und schimpfte über Sie und ihre Kabinettskollegen, ihren Vater, ihren Grossvater, ihren Clan und all diejenigen die in, mit ihrem Clan, verflochten sind.
In den letzten Tagen ist mir zunehmend bewusster geworden, dass es nicht in Ordnung war. Es stand mir nämlich gar nicht zu, mir ein Urteil über Dinge zu erlauben, die ich selbst nur durch Hörensagen oder "journalistischer" Berichterstattung kannte.
Auch Sie kenne ich eigentlich absolut nicht. Ich sah ihr Bild schon oft, auf Plakaten oder auch in Zeitungen oder jetzt auch zunehmend im Internet. Auch sah ich Sie schon mal "live" auf einem Rednerpult anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung.
Ist wohl schon etwas länger her. Aber kennen, nein, tu ich Sie absolut nicht. Dennoch habe ich in den letzten Wochen oft an Sie gedacht. Immer die Frage im Hinterkopf, was ich tun würde, wäre ich Sie. Es fing eigentlich damit an, dass ich ihre Rede
zur Eröffnung der Messe in Thessaloniki vor ein paar Wochen verfolgte. Sie waren sehr überzeugend, wirkten Sie doch sehr ausgeglichen, und in ihrer Stimme, ihrer Gestik und Mimik, lag sehr viel Kraft, Ernst, aber auch Zuversicht. Auch in den Medien machten Sie immer einen optimistischen, freundlichen Eindruck auf den Bildern und den Berichten. Sie hatten fast immer so ein Lächeln im Gesicht, eine Art Sieger, Gewinnerlächeln. Und dazu ein ehrliches. Nicht so ein aufgesetztes, gekünsteltes wie "J.R. Ewing" oder so ein verlogenes von manch einem "Cowboy" aus den Staaten.
Die letzten Wochen, vor allem die letzten Tage, müssen sehr sehr hart für Sie gewesen sein. Weil ich sehe das so, dass Sie
Farbe bekannt haben. Nicht weggelaufen sind. Kämpfen. Für ihre Aufgabe, ihr Amt, und damit auch für Ihr Volk. Es war sicherlich nicht einfach für Sie, sich ständig von Merkel und ihren Wasserträgern Vorschriften, Vorhaltungen machen zu lassen, während ihr damaliger WG Genosse zu Hause gegen Sie wettert und dem Volk versucht Dinge zu versprechen,
die er niemals halten kann. Auch er hätte keine andere Chance gehabt, als dem Diktat des Grosskapitals zu gehorchen.
Aber er hätte den Mut nie aufgebracht, die Sache mit dem Referendum in den Raum zu schmeissen. Ich fand ihre Idee Klasse. Und das Sie nun, wo ihre eigenen Parteifreunde sich feige von ihnen abwandten, ja sich sogar offen gegen Sie stellten,
zurückrudern mussten, ist mir schon klar. So wie mir persönlich klar ist, dass Sie das mit dem Referendum tatsächlich ernst gemeint haben. Ich glaube nämlich gesehen zu haben, dass die Bilder die man von Ihnen seit dem 28.Oktober sieht einen
anderen Papandreou zeigen. Ich bin überzeugt, das die Geschehnisse dieses Tages weitgehenden Einfluss auf die Entscheidung, das Volk zu fragen ob es die Belastung aushält und tragen will, hatten. Man sieht es auf den Bildern.
Sie wirken jetzt sehr traurig, nachdenklich, fast schon verletzt. Aber solche Dinge bekommt man hier nicht mit. Auch wurde hier nicht berichtet, was da geschah. Hier hat man andere Themen. Herr Papandreou ist schuld. An allem. Selbst dass es hier Strassen mit Schlaglöchern gibt, ist ihre Schuld. Und wenn in Italien und  Frankreich die Jugend bald wieder auf die Plätze und Strassen strömt, um ihren Politikern zu zeigen wie gross deren Unmut ist, werden es sicher auch wieder Sie,
oder zumindest die Politiker Ihres Landes sein, die Schuld sind. Ja, etwas ist ja dran. Auch sie sind Schuld. Auch sie stehen und standen in der Verantwortung. Knapp vierhundert Milliarden Euro an Verbindlichkeiten anzuhäufen ist für eine relativ kleine und schwache Volkswirtschaft wie die Ihre, auch ne ganze Menge. Aber dass Luftbucher Lehman pleite ging und die Weltwirtschaft nun mal am Ende der systematischen Möglichkeiten angekommen ist, dafür können weder Sie noch ihre Vorgänger. Aber Sie sind nun mal präsent, sind in den Medien, also schlagen wir lieber auf Sie ein. Auf die anderen im Hintergrund, naja, da kommt man schlecht ran, und so wirklich kennen tut man die ja auch nicht.

Also in diesem Sinne Herr Papandreou, meine Meinung ist, Sie haben alles in allem einen guten Job gemacht. Und ich glaube
nicht nur, sondern bin überzeugt dass keiner , nicht ein einziger derer, die Ihnen gleich den Dolch in den Rücken stossen wollen, es besser gemacht hätten. Und was auch immer gleich passiert, vielleicht überstehen Sie ja doch noch ein paar Runden, aber an dem Tag, an dem Herr Samaras vor Angie und Nikki zu Kreuze kriecht, und dann dem Volk noch mehr auflasten wird als das "was es jetzt mit Ihm schon gar nicht gegeben hätte weil er diese Vereinbarungen mit den Gläubigern
nieeeeeee eingegangen wäre", an dem Tag werden Sie hoffentlich ihr Lachen wiederfinden. Ich gönne es Ihnen.

Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute, Gesundheit und viel Kraft.

LG Werner01©

Antworten Zuletzt bearbeitet am 04.11.2011 22:00.

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