Die minoische Katastrophe, Teil III: Calderaeinbruch und Tsunamis
[ Nach unten | Zum letzten Beitrag | Thema abonnieren | Neueste Beiträge zuerst ]
Die minoische Katastrophe, Teil III: Calderaeinbruch und Tsunamis
von Margarita am 01.12.2010 14:13Quelle:
Neue Zürcher Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 26.04.2000 Nr.97 77
Die minoische Katastrophe - ein Vulkan verändert die Welt
Einbruch von verheerenden Naturgewalten in eine harmonische Kultur
Von Volker J. Dietrich*
Calderaeinbruch und Tsunamis
Der neu gebildete Explosionskrater wurde nach dem Ausbruch mit Schutt und Schlamm aufgefüllt. Wann es zum katastrophalen Calderaeinbruch kam, ist noch unklar. Auf Grund von jüngeren Beispielen dürfte dies innerhalb von Tagen bis Monaten geschehen sein, nicht nach Jahren oder Jahrzehnten. In mehreren Phasen brach der Calderakrater bis zu 800 Meter ein, was erhebliche Meeresspiegelschwankungen zur Folge hatte. An den steilen Wänden der neu gebildeten Caldera kam es zu Rutschungen und Felsstürzen, die Tsunamis auslösten. Die Riesenwellen verfrachteten große Mengen an Bims und Schutt bis an die Westküste Zyperns, nach Israel, an die nördlichen Küsten Kretas und bis ins Nildelta. Auf Kreta wurden die Orte Mallia, Phaistos und die bedeutende Flottenbasis Kato Zakro zerstört, auf Rhodos die Küstenstadt Kyrbe.
Bimsablagerungen über den Fundamenten der minoischen Siedlung Amnisos veranlassten den berühmten griechischen Archäologen Spiros Marinatos zur Annahme, die minoische Zivilisation sei durch den gewaltigen Ausbruch des Santorins untergegangen. Heute ist diese Hypothese aus den dreißiger Jahren nach wie vor aktuell, obwohl sie von vielen Wissenschaftern bezweifelt wird. Der Haupteinwand beruht auf den fehlenden Spuren der Tsunamis. Filmaufnahmen und authentische Beschreibungen aus dem Pazifikraum zeigen jedoch, dass die aufbrandenden Riesenwellen kaum bleibende Spuren hinterlassen. Tsunamis zerstören in Minutenschnelle, transportieren und hinterlassen Schutt, zerstörte Vegetation und fluviatiles Material. Innerhalb von Jahren bis Jahrzehnten sind alle Relikte der Katastrophe jedoch wieder verschwunden.
Über die Höhe und die Geschwindigkeit der Tsunamiwellen nach dem minoischen Ausbruch kann nur spekuliert werden. Sicher sind Höhen von mehreren zehn Metern realistisch sowie Geschwindigkeiten bis zu mehreren hundert Kilometern pro Stunde. Diese Annahmen basieren auf Beobachtungen während des Krakatau-Ausbruches im Jahre 1883. Über 40 Meter hohe Wellen verwüsteten damals entfernte Küstengebiete und verfrachteten Stahlschiffe mehrere Kilometer weit ins Landesinnere; 30 000 Menschen kamen ums Leben. 1956 löste auf der Nachbarinsel Santorins, Amorgos, ein Erdbeben submarine Rutschungen aus. Die folgenden Flutwellen erreichten auf den umliegenden Inseln eine Höhe von bis zu 40 Metern und forderten zahlreiche Opfer.
Zahlreiche Überlieferungen
Die Flutwellen können als katastrophalstes Element des minoischen Ausbruchs angesehen werden. In vielen Sagen und Überlieferungen wird denn auch von zerstörerischen Wellen an den Küsten von Kreta und Rhodos, von großen Verwüstungen am Peloponnes, im Golf von Argolis, im Saronischen Golf und in Attika berichtet. Die Legende der Deukalionischen Flut ist nur ein Beispiel. (Deukalion, Stammvater der Hellenen, rettet sich aus der Flut, mit der Zeus die Menschen vernichten wollte.) Auch in Attika gibt es ähnliche Überlieferungen. So wird etwa von einem mythischen Kampf zwischen Athene und Poseidon um den Besitz Attikas berichtet; Athene schenkte dem Land einen Ölzweig, Poseidon ließ eine Quelle entspringen. Athenes Gabe fand größeren Beifall, und Poseidon überschwemmte, äußerst ergrimmt, die Thriasische Ebene und ließ Attika in den Fluten der See versinken. Und noch bei einer zweiten Überlieferung geht es um eine Flutwelle: Es handelt sich um jene Woge, die Poseidon aussandte, um Hippolytos zu ertränken.
Will man den Zusammenbruch der minoisch-kykladischen Zivilisation verstehen, kommt dem genauen Ablauf der minoischen Eruption große Bedeutung zu. Dramatisch war insbesondere, dass der Lebensnerv der Kultur vollständig zerstört wurde. Die Schiffe, mit denen die Flüchtenden auf den umliegenden Inseln Schutz gesucht hatten, konnten den Riesenwellen nicht standhalten. Wahrscheinlich waren nahezu alle geschützten Buchten und Landungsplätze mit Schiffswracks übersät und alle Siedlungen auf Meereshöhe zerstört. Die gesamte kykladisch-minoische Infrastruktur wurde vernichtet.
Vom Naturglauben zum Polytheismus
Niemals zuvor hat eine Naturkatastrophe derartig tief greifend Lebensgewohnheiten und Glauben beeinflusst. Auf einmal gab es völlig unbekannte erzürnte Mächte: der Himmel verdunkelte sich über Wochen, Feuer und Erde schienen vom Himmel zu fallen, große Fluten aus dem einst klaren, nun mit Schutt und Asche bedeckten Meer verwüsteten die Küsten - Chaos herrschte überall.
Für die Überlebenden gab es von nun an keine harmonische und friedfertige Natur mehr - das Böse hatte Einzug gehalten. So ist es nicht erstaunlich, dass sich nach dieser Katastrophe neue Religionen entwickelt haben. Die wohlhabenden minoischen Flüchtlinge auf dem Peloponnes, in Attika und in Teilen Kretas, die ihre Schätze in Sicherheit bringen konnten, wandten sich einer polytheistischen Philosophie zu. Ihr tägliches Leben wurde von nun an durch zwölf Götter bestimmt. Zeus, der allmächtige Gottvater, gebot über alle anderen Götter. Die matriarchalische Religion wich somit in spätminoischer Zeit einem «imperialistischen Polytheismus». Auf dem Peloponnes entstand die neue Kultur der «goldenen mykenischen Epoche». Sie ist durch eine sehr dekorative Ausdrucksweise mit Objekten wie Dämonen, Greifvögeln und Sphinx geprägt; neben Jagdszenen werden häufig Kriegsszenen und barbarisches Abschlachten von Tieren dargestellt. Gottheiten besitzen nun prägnante Ausdrucksformen mit allmächtigen Gesichtszügen. Auf der Halbinsel Argolis im Peloponnes entstehen größere Städte mit Befestigungsanlagen, wie Mykene, Argos, Tirins, Lerna, Midea und Epidauros. Das Land wird von reichen Aristokraten und Fürsten beherrscht, die sich wieder nach Kreta ausdehnen und die zerstörten Siedlungen und Paläste teilweise erneuern.
In mykenischer Zeit entsteht auch ein stärkerer Totenglauben, der sich in der Errichtung von größeren Schachtgräbern mit umfangreichen Beigaben verdeutlicht. Die dekorativen Darstellungen in den erneuerten Siedlungen und Palästen Kretas sind eindeutig weniger ausdrucksvoll, stilistisch einfacher und von geringerer Farbqualität als früher - die Perfektion der kykladisch-minoischen Epoche wurde nie wieder erreicht. Die goldene mykenische Epoche scheint nur zwei Jahrhunderte überdauert zu haben. Sie wurde wahrscheinlich durch den um 1100 v. Chr. zu Ende gehenden Trojanischen Krieg, zerstörerische Naturereignisse und kriegerische Verwüstungen in der Argolis, auf dem Peloponnes und in Attika beendet. Abgelöst wurde diese Epoche durch eine Zeit der Dunkelheit, die mehr als zwei weitere Jahrhunderte dauerte und kaum mehr Zeugnisse der katastrophalen Vergangenheit hinterließ.
* Der Autor ist Professor für Vulkanologie am Mineralogisch-Petrographischen Institut der ETH Zürich.
Ich hab die Haare schön, ich hab die Haare schön
Re: Die minoische Katastrophe, Teil III: Calderaeinbruch und Tsunamis
von Claire am 01.12.2010 20:06Hallo Magarita,
ja, daß dort mal ein Vulkan ausgebrochen war, wußte ich.
Die tatsächlichen Ausmaße der Katastrophe waren mir nicht bekannt.
Danke, daß du dir die Mühe gemacht hast, es hier zu hinterlegen. Nun ist mir vieles verständlicher.
LG Claire
heureka - ich hab`s (vergessen)
Re: Die minoische Katastrophe, Teil III: Calderaeinbruch und Tsunamis
von Margarita am 02.12.2010 19:39Hi Claire,
war mir ein Vergnügen! Schließlich sind wir hier in einem Griechenlandforum. Doch weil das Thema Griechenland manchmal ein bisschen zu kurz kommt, habe ich den kalten Tag genutzt um einmal etwas über den Vulkan von Santorin zu "schreiben". Man muss auch nicht immer selbst der Verfasser sein, sofern man die Quelle angibt. Wichtig ist m. E. dass man überhaupt schreibt. Der Winter ist lang und über Griechenland gibt es so viel Schönes und Interessantes zu berichten.
LG
Margarita
Ich hab die Haare schön, ich hab die Haare schön